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Es ging Prigoschin nur um die Absetzung von Verteidigungsminister Schoigu! – oder doch nicht?

Wollte Prigoschin nur den Verteidigungsminister Schoigu stürzen – oder doch auch Putin schwächen – war das ein abgekartetes Spiel? – Hat diese Aktion Putin geschadet oder geholfen?

Die Regime-Change-Fantasien des Westens

Nun, die westlichen Mainstream-Medien hatten, nach Bekanntwerden der Wagner-Aktion, wohl schon einen mentalen Orgasmus, da sie endlich die Chance sahen, dass die Ära Putin zu Ende geht. Selbast nach dem offensichtlichen Scheitern der Aktion sehen die westlichen Propaganda-Medien Putin stark geschwächt. Doch ist das wirklich so?
Auch wenn noch Fragen offen sind, so wissen wir mittlerweile ja, dass diese Aktion, was immer Prigoschin plante, offenbar schief gelaufen ist. Oder stimmt auch das nicht?

Bevor ich auf die aktuellen Fakten und Kenntnisstand eingehe, und auch so manche spekulative Theorie auf Plausabilität überprüfe, möchte ich noch etwas zu den „Hoffnungen“ des Westens schreiben, dass Prigoschin Putin stürzen könnte.
Das zeigt wieder einmal, wie wenig Kenntnisse die westlichen Medien über Russland haben bzw. ihr russophobes Narrativ unbedingt unter die Leute bringen müssen.
Es ist bekannt, dass Prigoschin viel radikaler ist, und angenommen er hätte es geschafft Putin derart unter Druck zu setzen, um seine Pläne zu verwirklichen, dann hätte das eine klare Verschärfung und weitere Eskalation des Krieges bedeutet. Westliche informierte Experten hatten von Anfang an davor gewarnt, Prigoschin als den „Heilsbringer“ anzusehen.

Doch was ist an diesem Samstag, den 25.06.2023 in Russland passiert. Nun, zuerst einmal die Fakten in Kürze:

  • Prigoschin und eine größere Kolonne an Wagner-Söldnern ist zuerst in Rostow am Don einmarschiert. Dort wurden die Gebäude diverser Behörden blockiert. Da verlief alles friedlich und eher entspannt.
  • Danach setze sich die Kolonne in mehrere Richtungen auf Autobahnen in Marsch, wobei eine Kolonne nach Norden Richtung Moskau fuhr.
  • Zwischendurch gab es offenbar ein paar kleine Scharmützel zwischen Wagner-Söldnern und den russischen Streitkräften, in dessen Folge auf beiden Seiten leider auch Menschn ihr Leben verloren haben.
  • Dann wurde der Konvoi gestoppt, und der Präsident Weißrusslands Alexander Lukaschenko hat sich als Vermittler angeboten, und mit Prigoschin Verhandlungen geführt.
  • Am Abend hieß es dann, dass die Aktion beendet sei, die Wagner-Söldner sich in ihre Feldlager zurückziehen, und Prigoschin nach Weißrussland unterwegs sei.
  • Präsident Putin hat dann allen Wagner-Söldnern und Prigoschin Straffreiheit zugesichert. Auch aus Dank für die Verdienste von Wagner im Kampf gegen die Ukraine, wie Putin anmerkte, wo sie praktisch im Alleingang Artjomosk (Bachmut) eingenommen haben.

Warum konnten die Wagner-Sölner unbehelligt nach Rostow am Don und auf den Autobahnen nach Moskau fahren

Im Westen wird der Umstand, dass die Wagner-Söldner praktisch unbehelligt unterwegs sein konnten, als Schwäche der Militärführung gedeutet. Auch das zeigt einmal mehr, dass hier mehr der Wunsch der Vater des Gedanken war.
Insider sind sich einig, dass Putin und die Armee hier versucht haben Schlimmeres zu verhindern. Man muss wissen, dass die Wagner-Gruppe in Russland sehr beliebt ist. Viele junge Männer meldeten sich zu Wagner, als sie den Einberufungsbefehl für die Militäroperation bekamen.

Auch die Erfolge auf dem Schlachtfeld haben das positive Image von Wagner noch einmal verstärkt. Die, in Russland lebende deutsche, Bloggerin Alina Lipp, war an diesem Tag zufällig in Rostow und hat eindrückliche Fotos auf ihrem Telegramm-Kanal gepostet.
Die Lage war realtiv entspannt. Die Menschen haben den Wagner-Sölnern zu trinken gebracht und mit ihnen gesprochen. Auch Alina hat einige Wagner-Leute gefragt, und alle haben bestätigt, dass sie voll und ganz hinter Putin stehen und Patrioten sind. Auch die Militäroperation wurde absolut verteidigt. Es ging eben gegen das Verteidigungsministerium. Einige gaben an, dass Prigoschin ihnen erzählt habe, dass das Verteidigungsministerium plante Stellungen von Wagner anzugreifen, und das eben der Grund für die Aktion war. Aber diese Behauptung konnte nicht bestätigt werden. Vielleicht war dies auch nur ein Vorwand. Auf jeden Fall war es nie das Ziel gegen Putin aufzumarschieren.
Dies deckt sich auch mit meinen Informationen aus dem Donbass durch meine Kontakte.

Hier ein paar Impressionen aus Rostow am Don:

Lockere Plauderei zwischen den Wagner-Sölnern und den Menschen in Rostow am Don
Auch Soldaten brauchen die Erholung im Grünen

Viele haben sich gefragt, weshalb die russische Armee den Wagner-Konvoi nicht einfach abgeschossen hat. Denn dieser fuhr auf einer Autobahn praktisch auf dem Präsentierteller. Nun, auch das ist leicht zu erklären. Hätte Putin hier massive Gewalt eingesetzt, dann hätte das in der Tat zu einer Auseinandersetzung in der Bevölkerung führen können. Daher war die Lösung mit dem Deal, dass Prigoschin nach Weißrussland geht, und alle Wagner-Söldner die Möglichkeit haben sich in die russische Armee integrieren zu lassen, ein kluger Schachzug. Zudem war klar, dass alle wichtigen Verantwortlichen voll und ganz hinter Putin stehen. Sogar die Kritiker von Schoigu hatten sich hinter die Regierung gestellt, und meinten, dass so eine „Revolte“ nicht der richtige Weg ist.

Wo ist Prigoschin und welche Rolle spielt Weißrusslands Präsident Lukaschenko? War das alles nur Show, um die Wagner-Gruppe vom Norden her eine weitere Front eröffnen zu lassen?

Nach all den Fakten möchte ich, auch wenn ich das ungern tue, ein wenig auf diverse Spekulationen und Theorien eingehen. Natürlich bleiben einige Fragen offen. Prigoschin hat sich bisher nur sehr spärlich zu Wort gemeldet, und auch am Sonntag, als alles wieder vorbei war, standen noch praktisch alle Fahrzeuge der Wagner-Sölner auf den Autobahnen am Straßenrand. Was ist mit Schoigu. Seit der Aktion hat man ihn nicht mehr im TV gesehen, was für einen Verteidigungsminister in solche einer Situation schon sehr befremdlich ist.

Auf diversen Telegram-Kanälen kursierte die Theorie, dass das alles nur eine „Show“ war, um insgeheim Truppen zu bewegen, und durch Wagner von Weißrussland her eine neue Front eröffnen zu können.
Nun, ich persönlich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass all dies derart geplant gewesen sein konnte. Denn dies hätte schon sehr viel Vertrauen und Koordination bedurft. Aber überraschen würde mich solch ein ausgeklügelter Plan von Putin und Prigoschin auch nicht wirklich.

Dennoch möchte ich hier versuchen, anahnd von Pro und Contra, diese Theorie zu beleuchten:

PRO – Was für diese Theorie spricht:

  • Die Wagner-Gruppe konnte nahezu unbehelligt nach Rostow am Don, und danach auch Richtung Moskau fahren, ohne wirklich ernshaft daran gehindert worden zu sein.
  • Der Deal zwischen Lukaschenko und Prigoschin, welchem auch Putin zustimmte, könnte darauf hindeuten, dass man Prigoschin hier etwas aus der Schusslinie nehmen möchte, um mit seinen Wagner-Söldnern, welche mit nach Weißrussland gingen, vom Norden her überraschend in die Ukraine einzumarschieren.

    Denn militärisch gesehen, wäre das natürlich auf jeden Fall das Ende der sogenannten Gegenoffensive der Ukraine. Denn dann müsste die ukrainische Armee Einheiten von der bisherigen Front abziehen, um sich der Wagner-Gruppe in den Weg zu stellen. Zudem würde der Marsch von Wagner Richtung Kiew Selenskij unter Druck setzen, um ihn dann zu Verhandlungen zu zwingen.
  • Die relativ rasche Einigung mit dem Deal, welchen Lukaschenko ausgehandelt hat, und die Tatsache, dass alle Beteiligten wie Prigoschin, Putin und vor allem Schoigu sich eher wortkarg geben, könnte darauf hindeuten, dass man hier versucht Prigoschin die Zeit zu geben, sich für einen Angriff von Weißrussland aus vorzubereiten.

Soweit ein paar Indizien, welche durchaus plausibel scheinen. Doch es gibt auch einige, ebenso plausible, Indizien, welche gegen diese Theorie sprechen.

CONTRA – Was gegen diese Theorie spricht:

  • Die Wagner-Gruppe konnte zwar nahezu unbehelligt nach Rostow und dann weiter Richtung Moskau fahren, aber es gab bestätigte kleinere Scharmützel, wobei auch auf beiden Seiten Menschen zu Tode kamen. Wenn all das abgesprochen gewesen wäre, dann hätte Putin hier bewusst Todesopfer unter den Soldaten, z.B. Flugzeugbesatzungen, in Kauf genommen. Das wäre ein Verhalten, welches eigentlich entgegen Putins Gebaren sprechen würde.
  • Der Konflikt zwischen Prigoschin und Verteidigungsminister Schoigu schwelt schon lange, und all das hätte dann einer sehr genauen und längeren Vorbereitung und Koordiantiuon bedurft. Auch was das Stillschweigen angeht, ist so eine Aktion, wenn sie abgesprochen wäre, doch schwer geheim zu halten.
  • Ein Angriff auf die Ukraine von Weißrussland aus klingt auch, aus heutiger Sicht, eher unwahrscheinlich. So hat Lukaschenko immer betont, von Weißrussland aus keine Truppen in die Ukraine zu schicken. Zudem wäre es ein Risiko, dass man mit dem Nachbarn Polen in Konflikt gerät. Denn das wäre dann unter Umständen auch ein Bündnisfall für die NATO.
  • Auch das Überraschungsmoment ist dann nicht mehr wirklich vorhanden. Denn die Ukraine hatte mittlerweile genügen Zeit all ihre Grenzen mit entsprechenden Verteidigungsanlagen zu befestigen. Somit wäre ein schneller Vorstoß aus Weißrussland auch eher als schwierig anzusehen.

Wie man sieht, gibt es zwar durchaus ein paar Indizien, welche so eine Theorie, dass die Aktion eine abgesprochene Sache zwischen Prigoschin und Putin war, als plausibel darstellen lassen. Aber andereseits gibt es ebenso viele schlagende Indizien dagegen.

Die Zukunft wird es zeigen. Man darf gespannt sein, wie sich Prigoschin in seinem angeblichen Exil Weißrussland verhält. Auch was die Wagner-Söldner angeht, welche in Russland blieben, und Verträge mit dem Verteidigungsministerium abschließen. Werden diese dann als eigene Einheit weiterbestehen?
Es gibt natürlich immer noch einiges an Fragen, aber die nächsten Tage und Wochen werden es zeigen. Faktum ist, dass die ganze Aktion den Verlauf an der Front in keinster Weise beeinträchtigt hat, da auch Prigoschin betonte, dass er mit seiner Aktion den Einsatz der Front-Soldaten in keinster Weise beeinträchtigen wird. Somit wird die Ukraine, dessen Gegenoffensive mittlerweile immer mehr verpufft, aus dieser Prigosichn-Aktion keinen wirklichen Nutzen ziehen können.

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